Wir befinden uns im zweiten Jahr des Kulturdialogs Sachsen ZUKUNFThochK und die Roadmap führt in 2023 – nach der Frage, wie erfolgreiche Publikumsentwicklung gelingt – zum Thema „Werte und Wertschöpfung“. Der Auftaktworkshop fand am 31.08.23 in Schkeuditz statt, am 12.09.23 folgte nun das Online-Meet-Up. Zwei Expertinnen und ein Experte waren eingeladen, sich aus unterschiedlichen Perspektiven zu dem vielfältigen Themengebiet zu äußern. „Werte“ haben verschiedene Aspekte und Dimensionen, etwa ökonomische, soziale, moralische sowie kulturelle. Ausgehend davon stand somit u. a. die Frage im Raum, wie ökonomische Werte eigentlich in Bezug zu kulturellen Werten stehen – und umgekehrt. D. h., welche Rolle spielt die Kultur eigentlich unter Gesichtspunkten der Wertschöpfung? Und: welchen Stellenwert haben kulturelle Werte im Wertegefüge ganz allgemein?
Dr. Roland Scherer, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Systemisches Management und Public Governance an der Universität St. Gallen, eröffnete mit einer regionalwissenschaftlichen Sicht auf den Wert von Kultur. Mit den Mitarbeitern des St. Gallener Instituts erstellte er u. a. in Luzern ein Wirkungsmodell zwischen Kultureinrichtungen und der Standortregion am Beispiel des Luzerner Theaters. Seiner Einschätzung nach soll sich ein Theater primär dem künstlicheren Aspekt widmen, aber auch um Basisinfrastruktur und Finanzierbarkeit kümmern. Demgegenüber sorgt die Wirtschaftsregion für Standortattraktivität, Lebensqualität und die Entwicklung der Region insgesamt. Damit wirken Kulturort und Standort innerhalb dynamischer Schnittstellen aufeinander. Herr Dr. Scherer vertritt die These, dass die monetären Wirkungen von Kultureinrichtungen entscheidend vom jeweiligen Geschäftsmodell, der räumlichen Dimension und der Integration in die regionale Wirtschaft abhängen. In dem Zusammenhang zitierte der Referent den Bilbao-Effekt, d. h., dass der Image-Beitrag von „kulturellen“ Leuchttürmen mitunter überschätzt werden kann. Das Guggenheim-Museum in Bilbao hat v. a. deshalb für eine starke Wertsteigerung in der Region gesorgt, weil Bilbao vorher als reine Industriestadt wahrgenommen wurde. Die kulturelle Attraktivität war somit leichter zu erhöhen und hatte eine größere messbare Wirkung, als eine vergleichbare Eröffnung des Museums in Paris.
Im sich daran anschließenden Beitrag von Dr. Katja Drews, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zukunftszentrum Holzminden-Höxter, ging es insbesondere um den Zusammenhang von Kultur und Tourismus. Sie forscht zu informellen Kultur-Treffpunkten – also außerhalb einer Einrichtung, eines Theaters oder Museums – an sogenannten, Dritten Orten’. Dabei geht sie der Frage nach, wie Kultur im Alltag und auf Reisen jeweils genutzt wird, um attraktive Angebote sowohl für Touristinnen und Touristen als auch für Bewohnerinnen und Bewohner zu schaffen. Von besonderem Interesse ist dabei der Effekt, den der Kulturtourismus auf das Innen- und Außen-Image v. a. ländlich geprägter Regionen hat. Um diesem nachzuspüren hat die Referentin im Rahmen ihrer Forschungen u. a. Festivals im öffentlichen Raum, Stätten des historischen Erbes sowie ein soziokulturelles Landschaftstheater untersucht. Die durchgeführten Befragungen von tausend Personen ergaben, dass sich das Konsumverhalten von Kultur beim Reisen durchaus ändert: Nicht-Kulturnutzerinnen und -nutzer werden zu Kulturgängerinnen und Kulturgängern. Dabei werden besonders häufig historische Stätten besucht. Ein weiterer interessanter Befund ist, dass Freunde, Verwandte und Bekannte die relevanteste Informationsquelle sind, über die sich Touristinnen und Touristen bei ihrer Auswahl informieren. Die Befragten in den ländlichen Regionen gaben zudem an, die Überschaubarkeit des Ortes und das Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner der besuchten Kulturveranstaltung besonders zu schätzen.
Von ländlichen Regionen ging es dann mitten hinein nach Heidelberg zu Dr. Andrea Edel, Leiterin des Kulturamts und Koordinatorin der UNESCO City of Literature und ihrem Vortrag „Kunstproduktion im Fokus“. Sie schilderte, was das 2004 gegründete Programm UNESCO Creative Cities Network (UCCN) in Heidelberg seit Jahren bewirkt. Das UCCN vernetzt weltweit Städte, welche ihre Erfahrungen, Strategien, Ideen und zumeist modellhaften Praxen im Bereich zeigenössischer Kunst und Kultur, einschließlich der Kulturwirtschaft, miteinander austauschen wollen. Inzwischen sind fast 300 Städte jeweils als Exzellenz-Zentren in einem der sieben Bereiche Film, Musik, Design, Gastronomie, Medienkunst, Handwerk oder Literatur im Netzwerk aktiv. Seit 2014 ist Heidelberg mit Berlin, Hannover, Karlsruhe, Mannheim und Potsdam eine der sechs deutschen Städte. Als „Literatur“-Stadt regt sie den regionalen und internationalen Austausch von Profis der jeweiligen Sparte an, betreut Kooperationsprojekte und Gastresidenzprogramme. Dies bringt nicht nur Wissenszuwachs in die Stadt, die lokalen Künstlerinnen und Künstler erhalten auch mehr Aufträge und international Auftritte.
Heidelberg wiederum profitiert von den internationalen Engagements lokaler Profis – so wie auch die Branche rund um die Literatur einen Aufschwung erfährt. Hier scheint die Wirkung von Kultur zu ihrer eigenen Wertsteigerung gut zu funktionieren.
Die Teilnehmenden des Meet-Ups nutzten während der drei Vorträge den Chat, um zu kommentieren und Fragen zu stellen: Wie kann man der prekären Lebenssituation von Kulturschaffenden entgegenwirken? Wie kann der Wert der Entstehung eines Kunstwerks mehr geachtet, beziffert und bezahlt werden? Vor allem bei der touristischen Nutzung liegt der Fokus klar auf dem Erleben und weniger auf dem Kauf des kulturellen Angebotes. Und wie kann die Kultur- und Kreativbranche auch unabhängig vom Tourismus als Wirtschaftsfaktor mehr Beachtung erhalten – sie stelle schließlich als weicher Standortfaktor für die Entwicklung einer Stadt als Wohnort und damit für die ansässigen Mittelständler ein ökonomisches Momentum dar.
Abschließend lud Moderatorin Kristin Hendinger alle Teilnehmenden ein, sich mit Kamera und Mikro in die virtuelle Gesprächsrunde einzuschalten. Es wurde u. a. diskutiert, welche Rolle die digitale Sichtbarkeit von physischen Dritten Räumen spielt, wie sich Kulturtouristen informieren und wie Kulturschaffende die Wichtigkeit und Wertigkeit von Kultur gegenüber Wirtschafts- und Finanzpolitik argumentieren und belegen können.
Zur Vorbereitung des Themas sowie des kommenden Kulturgipfels hat im August ein Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern der Kulturräume sowie der Interessengemeinschaft Landeskulturverbände in Schkeuditz stattgefunden. Hier wurden vielfältige Impulse gebündelt und verdichtet.
Wir danken den Teilnehmenden und den Impulsgeberinnen und dem Impulsgeber herzlich für ihre Beiträge. Weiterhin darf noch viel Wissenstransfer und Austausch zur gegenseitigen Inspiration zwischen Wirtschaft und Kultur stattfinden, vom Forschen zur Messbarkeit von Kaufkraftimpulsen über faire wirtschaftliche Ausgleichsmodelle, bis zum überregionalen Künstlerprogramm.
Wir laden daher herzlich zum dritten Kulturgipfel am 20. Oktober 2023 von 10:30 bis 15:30 Uhr in das Rathaus in Zwickau (Hauptmarkt 1) ein. Ihre Erfahrung und Fragen sind gefragt! Um Anmeldung wird gebeten: