Die Frage der wirksamen Publikumsentwicklung steht im Fokus des ersten Halbjahres des Kulturdialogs. Bei einem Meet-Up am 23. März 2023 waren dazu vier Expertinnen und Experten eingeladen, ihre Erkenntnisse und Perspektiven zur Rolle und zum Potential des Publikums als Impulse weiterzugeben. 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, sich in dem zweistündigen Online-Event mit dem aktuellen Stand zur Thematik zu befassen und Fragen an die Expertinnen und Experten zu stellen.
»Warum gehen Menschen ins Konzert?« – mit dieser Frage eröffnete PD Dr. Julia Merrill, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik und Privatdozentin für Musikwissenschaft an der Universität Kassel, die Veranstaltung. Sie teilte ihre spannenden Perspektiven der Kognitions- und Neurowissenschaften sowie Musikwissenschaften. Die Antworten liefert das Publikum hier nämlich nicht einfach nur durch Befragung, sondern indem es während eines Konzertgenusses »vermessen« wird. Die mit Sensoren versehenen Besucherinnen und Besucher liefern auf diese Weise ihre Daten zu Herzrate, Atmung, Hautleitwert und Mimik. Diese Parameter geben unter anderem Aufschluss darüber, wie musikalische Erlebnisse kollektiv wahrgenommen werden. Nach Ansicht von Frau Dr. Merrill kommt die Mehrheit der Konzertbesucherinnen und -besucher in die Konzerthäuser, um ein gemeinsames Event zu erleben.
Diese Feststellung deckte sich mit Ergebnissen eines Forschungsprojektes an den Staatlichen Kunstsammlungen Chemnitz, über das deren Generaldirektor Prof. Dr. Frédéric Bußmann berichtete. Die Befragten wünschen sich demnach einen Ort der Unterhaltung und des sozialen Miteinanders. Studierende beispielsweise wollen im Museum keine zweite Universität erleben mit reiner Wissensvermittlung, sondern einen Unterhaltungsort mit Erlebnisangebot und mehr Partizipation. Prof. Bußmann zeigte anschaulich, wie mit den Ergebnissen der zweijährigen Befragung nun gearbeitet werden kann, wie das Wissen um Motivation und Bedürfnisse der Besucherschaft dabei hilft, die Kultureinrichtung und das Angebot möglichst ansprechend zu gestalten.
Profundes Wissen zur Publikumsgewinnung konnte auch Stefan Behr vermitteln, Geschäftsführer der Berliner Theatercompagnie Theater Anu und Künstlerischer Leiter des Internationalen Straßentheaterfestivals Gassensensationen Heppenheim. Er zitierte die Onlinebefragung der Schweizer Agentur »L'Oeil du Public«, in der als Grund für den selteneren Besuch in Kultureinrichtungen mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Befragten angaben: »Ich habe mich durch die Krise daran gewöhnt, zu Hause zu bleiben und gehe jetzt weniger oft aus.« So simpel wie herausfordernd. Daher gab Herr Behr im Anschluss viele hilfreiche Tipps, wie sowohl Gewohnheits- als auch Gelegenheitsbesucherinnen und -besucher zurück in die Kultureinrichtungen geholt werden können: Sei es durch gezieltes Geomarketing, bei dem besonders Last-Minute-Angebote an die umliegende Nachbarschaft angeboten werden, oder durch das Verschenken von leeren Platzkarten. Wichtig ist auch nach Ansicht von Herrn Behr der Grundaspekt der »communio«, wonach durch Kulturveranstaltungen möglichst das soziale Bedürfnis nach Gemeinschaft gestiftet werden soll.
Um den Aspekt der Gemeinschaft ging es auch im Impuls von Ulrike Petzold, Geschäftsführender Vorstand, DAKU Dachverband der Kulturfördervereine in Deutschland e. V. Sie berichtete von den über 16.800 Fördervereinen für Kultur in Deutschland, die ehrenamtlich und engagiert unter anderem dafür sorgen, dass Menschen ins Museum oder Konzert gehen. Sie zeigte in ihrem Impuls auf, welche integrative Bedeutung die Kulturfördervereine haben und wie sie als Brücke zwischen Publikum und Kulturanbietenden fungieren können. Auf Seiten des Veranstalters können sie sowohl eine entlastende Funktion haben, als auch durch eigene Formate und Veranstaltungen den engen Kontakt zu den Zuschauerinnen und Zuschauern halten. Das macht sie zu wertvollen Schnittstellen in der kulturellen Szene. Darüber hinaus werden sie aber auch als Sprachrohr, Ideengeber und Impulsgeber wahrgenommen.
In der folgenden offenen Gesprächsrunde mit allen Interessierten ging es dann um konkrete Fragen, wie »Was brauchen Kultureinrichtungen zukünftig für eine systematische Publikumsentwicklung?«, »Wo fehlt es aktuell?«, »Welche Unterstützung bringt etwas?«. Es gab weitere Tipps und Anregungen, wie die Stadtgemeinschaft einbezogen werden kann, neue befruchtende Perspektiven hinzukommen können und wie sich Partizipation steigern lässt.
Wir möchten uns allen Impulsgebern herzlich danken, dass sie Teil dieses ersten offenen Gesprächsraums zum Thema Publikumsentwicklung waren und sind gespannt auf den nun folgenden Workshop am 18. April 23 in Flöha. Vertreterinnen und Vertretern der Kulturräume sowie der Interessengemeinschaft Landeskulturverbände kommen hier auf Einladung des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus zusammen und werden die (vielfältigen) Impulse und Rückmeldungen des Meet-Ups bündeln und verdichten.
Der Workshop wird zudem den zweiten Kulturgipfel am 12. Mai 2023 vorbereiten, der von 10:30 Uhr bis 15:30 Uhr im Kulturzentrum Großenhain im Landkreis Meißen stattfinden wird.